Eine Parabel
Von John Patrick Shanley
Inszenierung: Ute Richter
Premiere: Do 14. März 2019
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Es spielen:
Eine katholische Schule in der New Yorker Bronx, 1964. Die prinzipientreue Schulleiterin Schwester Aloysius wacht mit Argusaugen über die ihr anvertrauten Jungen und führt das Internat mit strenger Hand; sie will nur das Beste, ihrem Weltbild getreu, und dazu gehört es, dass Kinder sehr diszipliniert aufwachsen müssen, um es im Leben zu etwas zu bringen. Ihr Augenmerk auf den ersten farbigen Jungen an der Schule ist ganz und gar nicht feindselig – ihr Augenmerk auf Pater Flynn, seine neumodischen Vorstellungen von Unterricht und Erziehung schon. Die junge Nonne, Schwester James, hat Alkohol gerochen, als der farbige Schüler von Pater Flynn zurückkam! Und daraus entsteht ein Missbrauchsverdacht mit einem eigenen Drive, bis Schwester Oberin selbst nicht mehr weiß, wo die Fürsorge für das Kind aufhört und die Intrige gegen den Widersacher anfängt.
Das Thema von Shanley ist weniger der „Missbrauch“, sondern das generelle Aufeinanderprallen von Schutzbedürftigkeit und Übereifer. Aber vor allem sät das Stück Unsicherheit, stellt lauter kleine böse Fragen, auf die es keine Antworten gibt, oder höchstens solche, die man dauernd überprüfen muss. Alles muss man abwägen: Fortschritt gegen bewährte Tradition, Freiheit gegen Sicherheit, den Mut, den Mund aufzumachen und sich für etwas einzusetzen, zum Beispiel gegen Rufmord.
Es geht ums Zweifeln, den Verlust des Glaubens – an Gott, das Gute, das Gegenüber, vor allem aber, das ist sicher das Schlimmste, an sich selbst; darum, wie jemand nach innen horcht und nicht mehr weiß, was die Emotionen aus seinen Wahrnehmungen gemacht haben. Shanley erzählt davon, wie schwer es ist; und dass es, selbst wenn es eine Wahrheit gibt, unwahrscheinlich schwer ist, sie zu finden.
John Patrick Shanleys Theaterstück „Zweifel“ wurde 2005 mit dem Pulitzerpreis, dem Desk Award und dem Tony Award ausgezeichnet.
Bilder
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Pressestimmen
Glückliche Hand bei tiefgründiger Umsetzung
Von Eckhard Britsch
Im Zweifel für den Angeklagten? Das gilt nicht mehr, wenn inquisitorisch einem Verdacht nachgegangen wird und alles eher einem Rachefeldzug ähnelt als seriöser Aufklärung. Schuld oder Rufmord, Gerechtigkeit gegen Selbstgerechtigkeit, Fürsorge und deren Umkehr – der amerikanische Autor John Patrick Shanley hat mit „Zweifel“ eine brillante Parabel darüber vorgelegt, wie sich eine Mutmaßung verselbstständigt, aus der es kein Entrinnen gibt und alle Beteiligten zu Opfern werden.
Bronx 1964. Oberin Aloisius führt eine kirchliche Schule. Mit fest gemeißelten Grundsätzen, in denen für Empathie wenig Platz ist. Sie will die Kinder ertüchtigen fürs Leben. In ihre Methoden bricht der pädagogische Fortschritt ein. Pater Flynn, ein richtig netter Kerl, spielt auch Basketball mit seinen Ministranten. Eine junge Lehrerin berichtet der Mutter Oberin, der kleine (schwarze!) Schüler sei nach einem Besuch bei Pater Flynn verstört gewesen und habe nach Alkohol gerochen. Verbirgt sich unter der Soutane gar ein Kinderschänder? Unbarmherzig verbeißt sich Oberin Aloisius in ihren Kampf um die vermeintliche Wahrheit, der alle beschädigt.
An Grundfesten gerüttelt
Das Stück ist außerordentlich stark, weil es keine Klischees bedient, sondern an Grundfesten der „Wertegemeinschaft“ rüttelt. Intendantin Ute Richter pointiert die Dialoge und erzeugt einen unerbittlichen Sog. Wie es für die Protagonisten kein Entrinnen gibt, so sehr wird der Besucher von einem emotionalen Strudel mitgerissen.
Eine glückliche Hand beweist Ute Richter auch mit der Besetzung: Philip Leenders gibt dem Pater sensibel- sympathische Züge; Joanne Gläsel ordnet der Schulleiterin viel Verhärtung zu, während Mirja Henking die junge Lehrerin als liebenswert ohne Lebenserfahrung darstellt. Und Julia Ibrahim bringt als Mutter des Jungen die Sache auf den Punkt: „Das ist eine harte Welt“. Rasanter Beifall mit Bravos.
Mannheimer Morgen 16.03.2019
Lebenswelten prallen aufeinander
Premiere von John Patrick Shanleys „Zweifel“ im Heidelberger Zimmertheater
Von Heide Seele
Mit diesem Stück stellt die Intendantin erneut ihr berühmtes „Händchen“ unter Beweis, denn es gelingt Ute Richter mit gewohnter Perfektion, bei ihren Zuhö- rern einen Nerv zu treffen. Es werden Fragen berührt, auf die es keine eindeutigen Antworten geben kann, die aber nachdenkliche Menschen gerade deshalb umso intensiver beschäftigen.
Ganz vorne rangiert da der Glaube, der selten ohne „Zweifel“ zu haben ist. Deshalb hat John Patrick Shanley seinem Drama auch den lapidaren Titel „Doubt“ verpasst. Es spielt in einer katholischen Schule in der New Yorker Bronx anno 1964, und die vier Protagonisten sind ziemlich gefordert, denn jeder vertritt einen individuellen Standpunkt und ist somit bestrebt, diesen mit gewaltiger Überzeugungskraft zu verteidigen. Die Dialoge sind entsprechend brisant, dazu äußerst spannend, und die Zuhörer fühlen sich nicht nur hinein gezogen ins Geschehen, sondern sehen sich auch aufgefordert zur eigenen Stellungnahme.
Unterschiedliche Standpunkte und Lebensweisen prallen aufeinander. Orgelspiel erklingt aus dem Off, und ein Priester tritt in Soutane auf. Die entsprechende Atmosphäre ist also hergestellt, zumal sich Zimmertheater-Chefin Ute Richter wie gewohnt für ihre Regie viel einfallen ließ. Mucksmäuschenstill und höchst gespannt verfolgten die Zuschauer denn auch die Aufführung.
Der Inhalt ist heikel, geht es doch um den Missbrauch, ein Thema, das die katholische Kirche schon häufig in die Bredouille gebracht hat. Scheinbar Betroffene werden ausgehorcht, Unangenehmes wird unter den Teppich gekehrt und dazu das nötige Vertrauen von Abhängigen aufs Spiel gesetzt. Wie zufällig kommen dann aber doch einige unschöne Machenschaften ans Licht. Auch wer wenig Mut hat, muss erkennen, dass Entscheidungen eigenständig zu treffen sind.
Sie wurden ausgiebig vom Premierenpublikum gefeiert.
Dies ohne Angst vor möglichen Folgen wie zum Beispiel dem Risiko, enttarnt zu werden. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß, und von der im Stück verpackten Aufforderung, selbstständig zu denken, fühlt sich auch der Besucher des Zimmertheaters angesprochen.
Der wie eh und je umstrittene Zölibat steht dabei sachlich dezent fast wie eine Art basso continuo im Fokus. Das wird nicht nur an der Figur von Pater Flynn, dem Philip Leenders diskret und zurückhaltend Profil verleiht, festgemacht, sondern auch von der prächtigen Joanne Gläsel demonstriert, die als Schwester Oberin Aloisius eigenwillige Akzente setzt und dabei ihre stupende Identifikationsfähigkeit unter Beweis stellt.
Julia Sina Ibrahim als Mrs. Miller punktet mit ihrer stark erotischen Ausstrahlung, und Mirja Henking verbreitet Liebreiz als Schwester James. Der Premierenbeifall für alle Beteiligten fiel entsprechend herzlich aus, vor allem natürlich für Hausherrin und Allroundtalent Ute Richter.
RNZ 18.03.2019