Die Beine David Faulkners haben nach einem Schlaganfall den Dienst versagt, auch mit der Sprache haperts – immerhin aber funktionieren noch sowohl Herz und Hand, als auch (das machts ihm nicht gerade leichter) der Verstand – und seine hellwachen Augen …
Aus Faulkner, diesem geschlaganfallten, zuvor sehr lebensfrohen Menschen, hätte sich leicht eine groteske, beinahe kreatinöse Figur auf die Bühne bringen lassen, jedoch stellt Michael Schernthaner des David Faulkners Angst und seine Aufsässigkeit, seinen Zorn und seinen Lebensüberdruss mit einem hinreißenden Körperspiel in den Raum, wobei er ausgestattet ist mit ganz eigener, originärer Artikulationsfähigkeit. Und, ach ja, seine Gedanken lassen sich beredt aus den Augen lesen. Jedenfalls, wenn er nicht, alleine auf der Bühne mit sich und dem Publikum, gerade seine Gefühle und seine Gedanken in scharfgeschliffenem Monolog purzeln lässt, womit eine faszinierende Zwischenwelt auf der Bühne geschaffen wird.
Faulkner ist, seiner Krankheit zum Trotz, das Wichtigste geblieben, das ein Mensch haben kann: sein Wille. Diesen versucht seine Frau Jennifer zu reaktivieren. Christina Dom gibt diesen Part in anrührend fröhlich bleibender Geduld, lädt sogar eine vor ihr geheimgehaltene Liebe ihres Herrn Gemahls ein, in der Hoffnung, ein Schock könne der Heilung Davids Vorschub leisten, oder diese doch wenigstens beschleunigen. Wobei sie durchaus in Kauf zu nehmen bereit ist, David an Antonia Drayton zu verlieren. (Irina Wrona gibt Antonia als taffe Geschäftsfrau, cool als Frau, die genau weiß, was sie will. Und was nicht. Aber vielleicht klappts ja auch zu dritt? …
Weder aber will David mit seiner – nun ja nicht mehr heimlichen – Geliebten abhauen, noch wird etwas aus der von Jennifer als letzte Möglichkeit ins Auge gefassten L’amour à trois.
Seinen Gehalt holt sich Yeldhams „Tiger“ aus Dialogen, Monologen und sprühenden Regieeinfällen, der Handlungsstrang mutet uns keine verknoteten Kurven zu, er unterhält, trotz Schlaganfall und alledem verständlich, in eher einfach gebastelten, schnörkelfrei-gradlinigen Strukturen: Ute Richter serviert dies Kammerspiel als ein zwar wohl mundendes Gericht, aber dennoch als eines, das es eben a u c h ist: nämlich als Stück, das immer wieder auf unbegreifliche und unerträgliche Lebensrollen hinweist.Jedoch lässt ihr Regiekonzept es nicht zu einem nur dialogischen Akt werden, das in starrender Krüppelmetapher stehen bliebe, sie stellt es nicht auf die Bühne als mono- oder dialogische Klage, als Lamento einer kranken, behinderten Existenz, was aus diesem Text ja a u c h hätte gemacht werden können; hingegen erweist sich ihre Arbeit wieder einmal mehr als artikulationsfähig, geschickt montiert sie Biographie und Wunschbiographie zusammen und strickt daraus ein eindringlich unter die Haut gehendes Theaterereignis. Kongenial zum Stück hat Ute Richter die Bühne minimalistisch eingerichtet, die Willibald-Kramm-Preisträgerin Monika Klein hat die Entwürfe
zur Wandbemalung beigesteuert, die derzeit in einer Einzelausstellung in der Heidelberger Stadtbücherei zu sehen sind.
Die vom Autor und der Regisseurin gesetzten Lacher – das Premieren Publikum nahm sie erleichtert zum Anlass, es mit Vergnügen zu tun.
Oh, Ihr Heidelberger, werdet – die Ihr dies Stück nicht gesehen habt – wissen, dass Ihr eine Sternstunde Heidelberger Theaterkultur verpasst habt? Sagt nicht, die Rundschau habe nicht versucht, es Euch rechtzeitig heftig ans Herz zu legen.
Bravi und brausend-frenetischer Premieren – Applaus gab es für den leider nicht anwesenden Autor, das hervorragend aufgestellte Ensemble und wieder mal und vor allem für die Regie der Zimmertheater-Prinzipalin Ute Richter.
Jürgen Gottschling